Ein sythisches Märchen
Es war einmal vor unendlich langer Zeit, als der Großteil der Welt noch vollkommen von Wald bedeckt war, da lebte ein junger Mann weit im Süden in den heilen Landen, wo die Acht Dynastien herrschten und grausam das Volk knechteten. Dort regierte der böse König Saqqaran Chnun Hatep, Sohn des Hag Ahmed, voller Verachtung über das einfache Volk und zwang es unter furchtbaren Bedingungen für ihn und seine Familie ein Monument zu errichten zu Ehren ihres Gottes. Denn die Könige der Alten Welt gehorchten Mahlag-Hash dem Dunklen, dem wahnsinnigen Gott der Schöpfung. Sie folgten all seinen finsteren Riten und der Glaube an Mahlag-Hash war dem Volk eine bittere Pflicht und die mächtigen Priester des Reiches wateten an den vielen Feiertagen in dem Blut der geopferten Menschen. Über viele Jahre hinweg arbeitete das Volk an der gewaltigen achteckigen Pyramide unweit des Deltas des Flusses Nip, wo die Necropolen der Könige und die Tempel der Priester standen. Damit die Arbeit reibungslos verlief, wurden die Arbeiter von dem Kriegerorden eines der Untergötter Mahlag-Hashs bewacht. Dieser Untergott war Uhol-Thor, der Gott des Richtens, der Flammen und des Schwertes. Der junge Mann nun, von dem unsere Geschichte berichten soll, war trotz seiner Jugend schon weit gekommen in den Reihen des Kriegerordens, und er glaubte fest an die Götter, die sein Leben bestimmten. Das Wort des Königs war der Wille des Schöpfers und war auch der Wille seines Kriegergottes Uhol-Thor.
Eines Nachts, als der junge Kriegerhauptmann im Tempel des Uhol-Thor kniete und zu seinem Gott betete, da begann das große Altarschwert in einem weißen Licht zu glühen, und eine Stimme sprach zu dem am Boden Knieenden, der einsam und allein im Tempel war: "Höre, Vark-Haz, mein getreuester Diener, was ich dir zu sagen habe! Du sollst als Erster wissen, im Lichte von Wahrheit und Gerechtigkeit, das ich nicht mehr Uhol-Thor, Diener des Mahlag-Hash, sein werde! Die Pfade von Dunkelheit, Zerstörung, Knechtung und Nihilismus kann ich nicht mehr ertragen. Der Gott der Schöpfung ist längst nicht mehr Herr seiner Sinne. Seine Macht kehrt sich gegen sich selbst. Dies soll nicht der meine Weg sein. Ich bin Ultor der Gerechte und du sollst meine Stimme sein gegen das Dunkel. Du sollst der Erste sein unter meinen Kindern und sie fortführen aus der Pein der Dynastiekönige. Du sollst Ultors Willen künden!" Und das Schwert auf dem Altarstein verformte sich, bog sich wie der Ast einer Weide, wand und verdrehte sich, bis es ein neues Schwert war - ein Schwert, das die Richtschalen der Gerechtigkeit an der Parierstange trug. Mit vor Verzückung entrücktem Gesicht und durch das Versprechen des Gottes mit heißer Euphorie erfülltem Herzen ergriff Vark-Haz das Schwert, trat aus dem Tempel und rief seine Kameraden herbei und bis hin zum Sonnenaufgang sprach er zu ihnen und allen anderen, die seine Stimme hörten, mit den Worten des Gottes Ultor. Da gab es ein großes Geschrei und viele des Kriegerordens und auch einfaches Volk schloß sich spontan dem Vark-Haz an. Sie hoben ihn auf ihre Schultern und sangen Loblieder auf Ultor und seinen Propheten, und Vark-Haz ergötzte sich an der Freude und dem Triumph, und schon jetzt machte sich ein kleines Quentchen Hochmut in seinem möchtigen Herzen breit, und er genoß die Liebe und Zuwendung der Massen. Schnell waren die Priester Mahlag-Hashs und ihre dunklen Tempelgarden zur Stelle, als sie vernahmen, was da geschah und mit Gewalt und grausamen Waffen gingen sie gegen diejenigen vor, die den Worten des Hauptmanns Vark-Haz ihr Herz geschenkt hatten. Doch siehe, die Mitglieder des Kriegerordens Ultors waren nicht klein an Zahl und vom Volke unterstützt, und groß war ihre Waffenkunst. Sie trieben die Tempelgarde zurück bis zum Königspalast. Doch hier stand auf den Stufen Bezahana-Chellor, der Oberste Hohepriester der Dunklen Grube, Mahlag-Hashs Opfermeister, und neben ihm sein Messdiener Tracuhm, der nervös ins Sonnenlicht blinzelte, denn er war die Finsternis des Tempels gewöhnt und kam selten ans Licht. Im Nu war es still geworden auf dem Platz des Königs, als Bezahana-Chellor dem Vark-Haz entgegentrat und ihn fragte, was dies hier solle. Da antwortete Vark-Haz mit der Stimme Ultors, und so möchtig war sein Wort, dass selbst Bezahana-Chellor und Tracuhm sich vor Vark-Haz niederwarfen und ihm und dem neuen Gott, der schon ein alter Gott war, Treue schworen. Hilflos musste der böse König Saqqaran mit ansehen, wie ein Siebtel seines Volkes, geführt von Vark-Haz, davon zog in den Norden, und nie wieder kamen sie zurück in die Lande des Nip-Delta unter die Macht der Acht Dynastien.
Viele Jahre wanderte die große Schar der Ultorglöubigen durch die Welt. Hier und dort lieöen manche sich nieder, gründeten kleine Dörfer und sprachen zu denen über Ultor und seine Gerechtigkeit, die gottlos und fern in den Wöldern lebten. Doch Vark-Haz und seine engsten Getreuen zogen weiter und weiter und Ultor leitete sie. Vark-Haz war ihr Führer und Herrscher und der Glaube war tief und gerecht in ihm, jedoch sein Hochmut wuchs, denn er war der Erwählte! Eines Tages kamen sie zu einer großen, mit Gras bewachsenen Ebene südlich eines großen Flusses und schlugen ihr Lager auf. In der Ferne, noch hinter dem Fluss, sahen sie Berge in den Himmel aufragen, von dichtem Wald bewachsen. In der Nacht, als Vark-Haz zu Ultor betete, da war wiederum die Stimme des Gottes in seinem Kopf, und mit Bestimmtheit sprach sie: "Getreuer Vark-Haz, wahrlich gut führtest du mein Volk aus dem Lande der Alten Religion, fort von der Dunkelheit. Jetzt und hier soll ein neues Land entstehen, die Wiege meiner Gerechtigkeit. Gehe vor das Tempelzelt und blase in das große Signalhorn, dass alle aufwachen und zusammenkommen. Hier soll eine Stadt entstehen, ein Kloster für Licht und Hoffnung. Im Schatten der Berge soll gebaut werden, wozu dein Horn die Ultorianer gerufen hat!" Und Vark-Haz tat, wie ihm geheißen. Nur wenige Monate vergingen, und das "Hornstadt" genannte Kloster war errichtet worden inmitten der Ebene. Vark-Haz war ihr Abt und Glaubensführer, und sein Stolz wuchs mit seiner Unzufriedenheit, denn siehe: Die Macht war ihm zu Kopfe gestiegen und er sah für sich keine Möglichkeit mehr, noch weitere Gunst zu erlangen, da er schon an der Spitze stand. Und ein Dunkel in ihm regte sich, doch Ultor sah es nicht, denn er hegte seine Gläubigen und vertraute Vark-Haz.
Wochen und Monate vergingen, und Vark-Haz wurde immer verdrossener und in sich gekehrter. Als das Sternbild des Adlers den Himmel erfüllte, da ging Vark-Haz in den Tempel zum Beten. Doch siehe: Der Tempel war still und Ultors Stimme, die zu hören der Erwählte zu hoffen gewagt hatte, blieb stumm. Als die siebte Stunde der Nacht in die achte überging, bemerkte Vark-Haz etwas Fremdes in seinem Verstand, eine neue Stimme - weicher und weniger barsch als die des Ultor: "Vark-Haz, großer Erneuerer, Former der Wahrheit, Finder der Dinge, ich grüße dich! Schon lange vernahm ich dein Sinnen, denn ich war es, der dich erst die Stimme Uhol-Thors hat hören lassen. Das war erst der Anfang. Großes habe ich vor mit dir! Ich kann dir so vieles mehr bieten als der tumbe Diener, der vermeinte, sich von mir lösen zu können! Seine Wahrheit ist geheuchelte Fiktion - nur ich, der Schöpfer selbst, sehe die Dinge mit Klarheit, die die Welt leiten! Ich bin es, der sie formte! Ich bin es, der sie den Weg in den Mutterschoß zuröckführen wird! Und du, Vark-Haz, wirst durch mein väterliches Direktorium weit mehr werden als bloß ein Führer der Menschen. Ich werde dir mehr als nur Unsterblichkeit schenken - ich vermache dir die Macht des Erschaffens, die mir selbst ureigen ist! Du sollst für mich Dinge entstehen lassen, die die Welt zum Ziel führen soll! Willst du mein Geschenk annehmen, Sohn?" Und in seinem Stolz und Hochmut bestätigt, mehr zu sein als nur ein Mensch, antwortete Vark-Haz: "Ja, Herr Mahlag-Hash. Dies will ich sein und dir will ich dienen, wenn ich doch nur über die Menschen und alle anderen Kreaturen erhoben werden kann!" Und mit einem Blitz aus Schwärze, der lebenden, brodelnden Materie des Chaos, erfüllte Mahlag-Hash seinen Obersten Diener und Ersten Erzdömon Varkaz und gab ihm seine Schaffenskraft zu eigen. Und der Tempel des Ultor barst, als Varkaz, in neuer Gestalt, deformiert und sich ständig verändernd, in den Sonnenaufgang trat und die Konstellation des Adlers im Lichte des Tagessterns langsam verblassen sah. "Die Macht und die Wahrheit sind nun mein", rief die Kreatur seinen einstigen Anhängern entgegen, und viele starben vor Schreck oder flohen schreiend in die Wälder. Nur wenige hielten dem grauenhaften Anblick stand, als seine Flügel das nahende Licht des Tages verdunkelten, und wieder war es Bezahana-Chellor, der vortrat, ohne vom Entsetzen gepackt zu werden. "Mein Herr warst du, als du mir das Licht gezeigt hast, und mein Herr sollst du sein, wenn jetzt die Dunkelheit zurückkehrt!" sprach Bezahana-Chellor, und als der Erzdömon Varkaz, der einst Vark-Haz der Erwählte war, über die Trümmer des Tempels in den Wald verschwand, da gingen Bezahana-Chellor, Tracuhm, und viele andere des alten Kriegerordens der Dynastie, die die Finsternis im Herzen nie wirklich verloren hatten, hinter dem Einen und Ersten her und ließen "Hornstadt" zerborsten und leer hinter sich im Schatten der Berge zurück.
Weit in den Norden, ins ewige kalte Eis, folgten sie ihm und erbauten fernab der bewohnten Welt die Schwarze Stadt Laharkyl, das Tote Herz, und von dort herrschte Varkaz über die Mundane Sphäre und erschuf viele Kreaturen und Dinge bar jeder Vorstellung in den lichtlosen Kerkern und Verliesen, schwarzen Abgründen und namenlosen Tiefen, wie sein Herr und Gott es ihm hieß. Seine getreuen Gefolgsleute erhob er in den Stand mächtiger Dämonenlords und Dienerdämonen, die über den Sterblichen standen, die in der Feste den Befehlen des Erzdämons nachkamen. Die Mitglieder des Kriegerordens, die seit seiner sterblichen Jugend an seiner Seite gewesen waren und nicht in den Stand der Dämonen erhoben wurden, waren seine Leibgarde, die sich zum Hohn noch immer in verdrehte Uniformen und Embleme Uhol-Thors hüllten, sehr zum Gefallen ihres dunklen Herrn. Und so vergingen die Jahrtausende im ewigen Dienste Mahlag-Hashs und die Macht des Varkaz wuchs und wuchs, wie auch sein Hochmut! In den Äonen, die folgten, entfernte Varkaz sich immer mehr von den Anweisungen des Gottes Mahlag-Hash, und begann mehr und mehr eigene Wege zu gehen, die seinem alleinigen Streben entsprachen. Seine Macht des Erschaffens wollte er nicht mehr nur beschränken auf Artefakte und Kreaturen, die zum Nihil des Schöpfers hinführen sollten. Er wollte die Welt seinem Spiel der Dinge Untertan machen, neue, verschlungene Wege gehen und beobachten, was seine Geschöpfe aus eigener Triebfeder zu leisten im Stande wären. Durchaus gewollt, und nicht nur im Schlechten, trieb Varkaz die Evolution voran, erschuf und veränderte, zerstörte und sah zu. Nicht nur einmal sprach der Schöpfergott im Zorn mit seinem Ersten Erzdömon und war unzufrieden mit ihm und seinen Taten. Dabei bekräftigt wurde er von seinen weiteren drei Kindern, die wie Varkaz aus ihrem irdischen Sein in eine anderes Leben gehoben worden waren: Odiz, der Erzdämons des Mordens; Avatiz, der lüsterne Herr der Perversionen; und Mogaz, der rottende Fürst des Verfalls. Sie waren Mahlag-Hash ohne Ausnahme treu ergeben und strebten die gleichen Ziele an, wie es ihr Prinzipal tat. Doch Varkaz hörte nicht auf, seinem eigenen Willen nachzugehen, denn in seiner Vermessenheit glaubte er, dem Mahlag-Hash ebenbürtig, wenn denn nicht sogar mächtiger geworden zu sein als der einstige Meister.
Das Formen der Wolfsgeister, die Varkaz Canir nannte, wurde sein Verderben. Mahlag-Hash hatte zu lange den Hochmut des Ersten Erzdämons ertragen, seinen Befehlen entgegen zu wirken. Mit dieser letzten Tat, Kreaturen zu erschaffen, die sich offen gegen den Gott des Chaos stellten, sollte Varkaz seine Existenz beenden. Denn siehe: Voller Zorn zog Mahlag-Hash selbst mit seinen Heerführern Odiz, Avatiz und Mogaz und ihren zahllosen Armeen der Dämonen auf die Mundane Welt. Sie durchschritten die Tore der Dämonischen Sphäre und wandten sich gegen die Festung Laharkyl im ewigen Eis der Koltischen Hochebenen, und Jahr um Jahr fochten die Bestien der Fürsten miteinander und erschlugen sich zu großer Zahl. Zuletzt trat Varkaz gegen seinen Gott zum Zweikampf an, denn er vermeinte sich mächtiger als selbst der, der einst die Welt aus dem Nichts erhoben hatte. Viele Tage fochten sie in Nebel und Eis gehüllt, und schließlich warf Mahlag-Hash den Varkaz nieder und riß ihn derer acht Teile, die er triumphierend über die Welt verteilte als Mahnmal an alle, die es jemals wagen sollten, ihm trotzen zu wollen. Siegreich zog der Gott des Chaos mit seinen drei Generälen und den verbliebenen Dienern zurück in ihre ureigene Sphöre und ließ die Leiber all der vernichteten Kreaturen zurück im Eis und Schnee der Koltenlande. Fast jeder der verbliebenen Diener des Varkaz, der mit dem Leben davon kam, war von Mahlag-Hash unterworfen und an ein fernes Schicksal gekettet worden, bis auf wenige, die ihm entrinnen konnten, so auch Bezahana-Chellor. Nebel deckte das Land zu, undurchdringlich, undurchschaubar. Es wurde vergessen.
Als Varkaz sein Ende nahen sah und erkannte, er würde dem Gott unterliegen, da soll er sich zuletzt an Ultor gewandt haben und all seine Verfehlungen zerfraßen ihm die dunkle Seele. Sterbend band er sich erneut an die Gerechtigkeit Ultors, und Ultor hörte ihn. Lange, nachdem Mahlag-Hash die reale Welt mit seinen Heerscharen verlassen hatte, da nahm sich Ultor sieben der Teile seines einstigen Dieners an und wandelte sie zu neuem Leben, um Buße zu tun und den Völkern zu künden vom Licht. Das achte Teil aber, das den Funken und das Verdrehte des Schöpfers trug, verbarg er aus Gram und grausiger Furcht vor der Zukunft an dem Ort, wo Varkaz in verraten hatte - im Schatten der Berge, wo einst das Horn geblasen wurde, warf Ultor das verfehmte Stück Fleisch auf den Boden und errichtete einen Berg darüber. Und als so das Schattenhorn entstand, da leuchtete die Sternenkonstellation des Adlers über der Welt und sah hinab, auf das, was eines Tages kommen wird.